Krankenhaus und Reha
Ich sitze bei unserer Arbeitspsychologin und erzähle, erzähle, erzähle. Bin aufgelöst, weine. Sie hört zu und telefoniert.
2 Tage später bin ich im Krankenhaus, auf einer psychologischen Station für depressive Patienten. Ich mache mir keine Gedanken, warum ich hier bin. Ich nehme nicht einmal wahr, dass es eine Station für Depression ist. Mir ist klar, dass es eine psychische Station ist. Das ist in meiner Situation auch gut. Hier kann man mir helfen.
Mir ist klar, dass ich mitmachen muss, um wieder gesund zu werden. Von allein wird das nichts. Ich muss mitmachen. Egal, was man mir anbietet, ich werde es mitmachen. Ich will wieder gesundwerden. Wenn ich wieder gesundwerde, kann ich meine Ehe retten. Das ist mir das wichtigste. In dieser Situation glaube ich, dass meine Situation zum großen Teil aus der Trennungsabsicht meiner Frau resultiert. Ich möchte alles ändern, um diese Situation zu ändern.
Die erste Woche ist hart. Ich schlafe nicht! Ich habe das Gefühl überhaupt nicht zu schlafen. Ich liege die ganze Nacht wach. Grübele, stelle mir vor, wie ich wieder gesundwerde und meine Frau wieder zurückgewinne. Meine Gedanken drehen sich fast nur darum. Und nur, um meine Ehe zu retten, will ich wieder gesundwerden. Und genau das ist der falsche Ansatz aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht!
Die Schwestern kommen regelmäßig kontrollieren. Ob sie Angst haben, dass ich mir was antue? Die Fenster lassen sich nicht öffnen. Das habe ich aber auch gar nicht vor! Bei den Kontrollen tue ich so, als würde ich schlafen. Das Erstaunliche: ich bin tagsüber nicht müde. Nach fast einer Woche ohne Schlaf, erzähle ich den Ärzten davon. Sie sagen mir, dass die Schwestern die Kontrollen machen, um zu schauen, ob wir schlafen. Es ist wichtig sich zu melden, wenn man nicht schläft. Sie bieten mir an, Schlafmittel zu nehmen, dass ich endlich wieder schlafen kann. Ein Experiment, welches ich wohl nie wieder wiederholen werde. Ich bekam mein Schlafmittel um 21:30 Uhr. Die Schwester fragte mich, ob ich Tablette oder Saft möchte. Da der Saft schneller wirken soll, wähle ich den. Um 23:45 Uhr frage ich nach, wie schnell das Schlafmittel wirkt. Die Schwester schaut mich mit großen Augen an und sagt innerhalb 10 – 15 Minuten. Ich bekomme gleich noch mal was. Die schlimmste Nacht meines folgt. Ich fange an zu zittern, bin total unruhig. Schlafen kann ich nicht. Nie wieder werde ich Schlafmittel nehmen.
Heute weiß ich, mein Körper hat mit aller Kraft gegen den Schlaf gekämpft. Er wollte nicht schlafen, ich wollte mir weiter vorstellen, wie ich die Krise besiege und alles wieder gut wird. Der Kopf kommt nicht zur Ruhe.
Irgendwann kann ich nicht mehr und ich schlafe eine Nacht.
Die Therapien lenken ab, ich kann etwas tun, konzentriere mich darauf und meine Gedanken kommen zur Ruhe. Lauftherapie wird angeboten. Ich nehme dies an! Habe ich hier doch gelesen, dass Sport hilft.
Ich lese wieder, sehr viel! Auch hier komme ich zur Ruhe, die Gedanken sind woanders. Ich muss nicht an meine Situation denken. Allerdings sollten noch Zeiten kommen, an denen ich ohne Bücher durchdrehen würde.
Doch jetzt geht es mir langsam besser. Ich weiß nicht, was mich ruhiger werden lässt aber es wird. Dann kommt der Tag des Paargesprächs mit meiner Frau. Und es lässt mich so viel Hoffnung schöpfen! Mir geht es besser und doch ist da immer noch so eine Unruhe. Ich kann sie nicht deuten.
Ich mache alle Therapien mit, will unbedingt gesundwerden. Alles dafür, dass unsere Ehe noch eine Chance hat. Was ich hier noch nicht weiß, das wird noch sehr schwierig.
Dann, nach 4 Wochen, kommt der Tag, an dem ich nach Hause fahre. Ich freue mich auf einen Neuanfang mit meiner Frau, hoffe, dass noch Hoffnung besteht, wir die Krise in den Griff bekommen. Ich versuche, mein Bestes zu geben. Doch irgendetwas stimmt noch nicht. Irgendwann nach ein paar Tagen offenbart sie sich mir. Sie möchte eine Trennung. Sie wird sich eine Wohnung suchen. Mich wirft es um. Eine Freundin bringt mich wieder in die Klinik. Ich verbringe ein paar Tage, um Kraft für die Weihnachtsfeiertage zu sammeln. Nach einer Woche, mit vielen Telefonaten mit guten Freunden, traue ich mich wieder nach Hause.
Es ist eine merkwürdige Stimmung. Manchmal fühle ich eine Verbundenheit, die an alte Zeiten erinnert. Ob doch noch eine Hoffnung besteht? Die Feiertage sind anstrengend. Die Familie weiß noch nicht Bescheid, unsere Kinder wissen noch nichts. Es ist schwierig, nicht zusammen zu klappen, den Schein zu wahren. Wie soll das weitergehen? Dann kommt der Tag, an dem ich nach Lindow zur Reha soll. Der Abschied ist schwer. Mir scheint auch hier, als wäre noch nicht alles verloren. Es ist verwirrend. Und so schwer.
Jetzt werde ich noch mehr lesen als je zuvor. In den ersten 3 Wochen lese ich alles Bände der Harry Potter Bücher mehrfach. Ich lese alle Bücher, die ich mithabe (allein dafür 1 Koffer!) und ich bin jede Woche in der Bibliothek und leihe mir 5 – 6 Bücher! Mein Zimmer (nach einer Nacht im Doppelzimmer, bekomme ich ein Einzelzimmer) ist zugezogen. Ich will nichts sehen, mit niemanden Kontakt haben. Ich verlasse es nur kurz zum Essen und zu den Therapien. Es fließen viele Tränen. Die Therapien sind anstrengend und ich kann mich kaum beteiligen.
Obwohl es die Psychologin verboten hat, kann ich es nicht lassen Kontakt zu meiner Frau zu suchen. Sie reagiert und ich übertreibe es. Ich fange an zu klammern, bedränge sie, kann nicht von ihr lassen. Sie zieht sich zurück. Keine Antworten mehr.
Auch hier wird ein Paargespräch geben. Und es läuft ganz anders, als ich es erwarte. Meine Frau will die Scheidung. Sie sieht keine Chance mehr für uns. Ich frage nach Gründen, bekomme keine Antworten. Sie fährt nach Hause und lässt mich in einem tiefen Loch zurück.
Nun sitze ich hier bei der Psychologin in der Reha und habe Schwierigkeiten ihr zu versprechen mir nichts anzutun. Mein Leben scheint ein Scherbenhaufen und ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels. Wie konnte es soweit kommen?
Man kann nicht nachvollziehen, wie man sich in diesem Augenblick fühlt. Man kann sich nicht auf so etwas vorbereiten. Das Leben schlägt zu und lässt einen am Boden liegen.
In dem Moment wird mir klar, dass wenn ich der Psychologin jetzt nicht verspreche mir nichts anzutun, wird sie mich in eine geschlossene Abteilung einweisen. Und doch fällt es mir so schwer, ihr das zu versprechen. Dann wird mir klar, das will ich nicht, so kann es nicht weitergehen. Ich will das nicht. Ich muss einen Weg finden, damit umzugehen und weiter zu leben. Mit dieser Absicht geht es nun weiter und es geht Schritt für Schritt aufwärts. Meine Frau schaut sich nach einer neuen Wohnung um, ich fange an, mir Gedanken zu machen, wie ich mein Leben gestalten will. In der Therapie, in der ich mit Ton arbeite, fange ich an, Ideen für Projekte zu entwickeln. Anfangs hatte ich keine Gedanken dafür. Ich gestalte Schüsseln aus Ton (wenn wir den Haushalt teilen, brauchen wir ja mehr!) Dann sehe ich Tiere aus Ton und beschließe für meine Tochter ein Paar Pferde aus Ton zu gestalten. Sie werden wesentlich besser, als ich es erwartet habe. Eine Sparbüchse baue ich mir. Wer weiß, wozu ich die mal brauche. So vergehen die Tage und der Tag meiner ursprünglich geplanten Entlassung kommt näher. Jedoch wird die Reha noch mal um 3 Wochen verlängert.
Dann entschließe ich mich einen Brief an meine Frau zu schicken. Briefe schreibe ich nicht gern und doch habe ich ihr schon am Anfang der Trennung gleich einen geschrieben. Lange Seiten konfusen Geschwafels. Unüberlegt, ängstlich, hoffend.
Nun wird der Brief ein Abschied. Und das Bedauern, dass wir das nicht doch geschafft haben.
Ein Telefonat nachdem sie den Brief erhalten hat, fällt mir schwer aber ich habe mich entschlossen, bei der Trennung einige Sachen für mich in Anspruch zu nehmen. Es fällt mir sehr schwer und komischer Weise scheint meine Frau noch mehr betroffen. Ich fühle mich nach dem Telefonat bestärkt und bin sicher meine Zukunft wieder zu meistern.
Dann werde ich frühmorgens durch den Nachrichtenton meines Handys wach. Meine Frau hat mir eine E-Mail geschrieben. Sie möchte die Trennung nicht, möchte einen Neuanfang. Wir treffen uns. Reden lange. Es wird ein guter Neuanfang.
Wir machen eine Paartherapie. Im Berliner Dom bieten ehrenamtliche Helfer so etwas an. Wir sind noch heute für die Hilfe dankbar. Uns wird bewusst, was die Stärken unserer Beziehung sind, wo unsere Schwächen sind und wie wir daran arbeiten können. Irgendwann sagt der Therapeut zu uns, wie er uns noch helfen soll? Er sieht nicht, dass dies noch notwendig ist.
Dies ist der Neunanfang für unsere Ehe. Es ist, als hätten wir diesen Tiefpunkt als Weckruf gebraucht. Es läuft besser denn je, unsere Liebe ist nur der Mittelpunkt in unserem Leben. Das ist mittlerweile 4,5 Jahre her. Es hat sich nicht viel verändert. Der Alltag holt einem aus dem siebten Himmel wieder runter. Die Schmetterlinge, die da plötzlich wieder waren werden weniger. Aber sie bleiben. Es ist eine bessere Liebe geworden. Und ich werde diese Beziehung noch mal auf die Probe stellen. Und dann ist es gut, dass ich meine Frau an meiner Seite habe.
Wie es nun weiter geht: Lest es hier.